Wer an Hörgeräte denkt, denkt mitunter immer noch an seltsame, fleischfarbene Plastik-Scampi, die Tante, Onkel oder Oma vor vielen Jahren hinter den Ohren trugen – und zwar nur als eine Art kleineres Übel. Denn wer will schon freiwillig Hörgeräte haben? Leute wünschen sich Handys, Smart-TVs, Drohnen… Aber Hörgeräte?! Die will niemand! Oder besser gesagt: Bis vor wenigen Jahren wollte sie niemand. Aber das ändert sich aktuell. Denn smarte Vernetzung macht aus der lange gemiedenen Medizintechnik zugleich coole Wearables. Und sie verhilft diesen Produkten zu Vorteilen, die auch Menschen ohne Hörverlust gerne hätten. Andererseits profitieren aber auch Kopfhörer und In-Ears von Technologie, die aus Hörgeräten stammt. Und obendrein setzen Hörakustiker bei der Anpassung der Hörtechnik Maßstäbe für Tragekomfort und Personalisierbarkeit, an denen sich auch Consumer Electronics messen muss. Hörgeräte und Hearables stehen heute für zwei Seiten, die vielfältig voneinander profitieren und die sich aufeinander zubewegen. Hier der abschließende dritte Teil unserer Serie.
Hörgeräte von heute sind Multifunktionsgeräte. Und das wirkt sich auch auf ihr Image aus. Der durchschnittliche Hörgeräte-Kunde kommt heute deutlich früher in Hörakustik-Fachgeschäft als noch vor ein paar Jahren. Fragt man die Kunden, was für sie bei der Auswahl des passenden Hörgeräts wichtig ist, so sagen – laut einer Studie* - 54 Prozent von ihnen das, was Hörgeräte-Kunden schon immer sagen: „Ich wünsche mir ein Gerät, das möglichst niemand sieht.“ Neu ist hingegen, dass ein anderes Kriterium im Urteil der Kunden sogar noch schwerer wiegt: 59 Prozent wünschen sich Geräte, die sich mit Handy oder Fernseher vernetzen lassen. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass es diesen Vorteil überhaupt erst seit wenigen Jahren gibt.
Profitieren die Hörgeräte also, weil sie nun zusätzlich Funktionen smarter Unterhaltungselektronik haben? Ganz bestimmt trägt das zur Aufwertung des Images bei. Aber es ist nur die halbe Wahrheit. Die dänische GN Hearing, die mit ihrer Marke ReSound den Trend zu smarter Hörgeräte-Vernetzung einleitete und seitdem immer weiter vorantreibt, setzt nicht nur auf die Zusammenarbeit mit Apple oder Google. Innerhalb des weltweit agierenden Unternehmens GN wird schon lange ein Technologietransfer zwischen Consumer-Electronics und audiologischer Medizintechnik gelebt. Zu GN gehört auch Jabra, der international führende Anbieter für Kopfhörer und Headsets. Als Konzernschwestern arbeiten Jabra und ReSound Seite an Seite. Da geht es auch um die Entwicklung so genannter Hearables, also um neuartige Produkte, die Elemente aus beiden Welten miteinander verbinden.
Wireless-Konnektivität und Audiostreaming, IoT und GPS, Sensortechnik und KI, Echtzeitübersetzung… - Hörgeräte nutzen inzwischen vieles, was seinen Ursprung in der Consumer Electronics hat. Zugleich profitieren jedoch auch Kopfhörer und Headsets von Technik, die aus Hörgeräten stammt. Ob Verstärkung und Kompression, Equalizer-Funktionen oder Noise Cancelling, ob Hörprogramme oder das Erkennen klingender Objekte (Layerd listening) oder professionelle Anpassformeln… - viele Funktionen aus der audiologischen Technik bereichern heute immer mehr Produkte der Consumer Electronics.
Warum man diese Funktionen hier braucht? Weil eben auch diejenigen besser hören und verstehen wollen, die keinen Hörverlust haben – beispielsweise in lauten Umgebungen. Und möglicher Weise auch deshalb, weil sich eine beginnende, ganz leichte Hörminderung mit einigen dieser Funktionen noch recht gut wettmachen lässt.
Wird also bald alles eins sein? Ist ein Kopfhörer demnächst auch gleich ein Hörgerät, so dass man Hörgeräte gar nicht mehr braucht? Ein klares Nein! Denn auch mit vielen zusätzlichen Funktionen bleiben Hörgeräte Medizintechnik. Und die gibt es nicht im Elektronik-Markt. Solche Technik muss für ihren Träger angepasst werden, das geht nur durch Fachleute. Und nach wie vor muss sie vor allem einen geminderten menschlichen Sinn ausgleichen.
Auch hier gibt es immer neue Entwicklungen. ReSound etwa bietet beim neuesten Spitzenprodukt, dem Hörgerät ReSound ONE, optional ein zusätzliches, drittes Mikrofon. Das sitzt im Gehörgang und sorgt für einen besseren Klang und besseres Richtungshören.
Doch ob Hörgerät oder Hearable – Teil des modernen vernetzten Alltags sind sie beide. Und auch in Zukunft wird einer vom anderen profitieren. Und vermutlich wird es dann immer mehr multifunktionale Produkte geben, die wir am Ohr tragen, die uns wichtige Informationen liefern, die unser Gehör schützen und die uns zu bestem Verstehen verhelfen.
Ein weiterer Meilenstein auf diesem Weg ist sicherlich der neue Standard Bluetooth LE Audio. Der wurde von der Bluetooth Special Interest Group entwickelt – in enger Kooperation mit der europäischen Hörgeräte-Industrie. Und er soll beispielsweise ermöglichen, Sound-Angebote im öffentlichen Raum je nach Bedarf zu nutzen oder zu teilen. Die Ansage in Bahnhof oder Airport, der Ton eines Kinofilms oder der Audio-Guide beim Museumsbesuch… - überall sollen Sounds direkt empfangen werden können, und zwar sowohl im Hörgerät als auch im Kopfhörer oder auch in einem Hörimplantat.
Zudem können die Hearables von der Hörakustik noch sehr viel lernen. Hörakustiker sind schließlich seit vielen Jahren darauf spezialisiert, die Technik so anzupassen, dass man sie von früh bis spät tragen kann. Alles muss komfortabel sein. Nichts darf drücken. Bei einem Kopfhörer von der Stange ist das noch längst nicht so.
*Studie „Smartes Hören“ im Auftrag von ReSound, Test und Befragung mit 603 Probanden in Kooperation mit dem forsa Institut und zahlreichen Hörakustik-Fachgeschäften in 2017/18
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Gastbeitrag: Martin Schaarschmidt ist PR-Berater (DAPR) und Fachjournalist mit langjähriger Spezialisierung auf die Themen Hören, Hörtechnik und Hör-Rehabilitation (www.martin-schaarschmidt.de). Er betreibt ein PR-Büro in Berlin, in dem er zahlreiche Kunden der Hör-Branche betreut. Nebenbei schreibt er regelmäßig in seinem Blog www.die-hörgräte.de über das Hören mit und ohne Technik.